Referent Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder im Interview
Im Vorfeld zur gat | wat 2021 haben wir mit Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder (Geschäftsführender Gesellschafter / Vizepräsident, TUTTAHS & MEYER Ingenieurgesellschaft) über aktuelle Trends in der Digitalisierung für die Wasserwirtschaft gesprochen.
Herr Prof. Schröder hält einen Vortrag zum Thema: „BIM – Welche Möglichkeiten eröffnet es der Wasserwirtschaft?“ am 25. November 2021 um 09:30 Uhr.
Die Digitalisierung ist auch in der Wasserwirtschaft von zunehmender Bedeutung. Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie generell im Hinblick auf die Digitalisierung in der Wasserwirtschaft?
Anlagen der Wasserwirtschaft wie Klärwerke und Wasserwerke haben schon seit vielen Jahren einen hohen Automatisierungsgrad, der auf klassischem analogem Weg umgesetzt wurde. Die Digitalisierung eröffnet hier große neue Potenziale, insbesondere bei der Vernetzung der verschiedenen Elemente eines wasserwirtschaftlichen Gesamtsystems. Allerdings entstehen auch neue Risiken für diese Anlagen der kritischen Infrastruktur zum Beispiel durch Cyberangriffe.
Die BIM-Methodik (Building Information Modeling) ist ein wichtiger Bestandteil für die Digitalisierung von Infrastrukturprojekten. Wie genau funktioniert diese Methodik?
Die BIM-Methodik bietet die Chance, einen sogenannten digitalen Zwilling zu erzeugen, der über den gesamten Lebenszyklus eines wasserwirtschaftlichen Bauwerks von der Planung über Bau und Betrieb bis hin zum Rückbau als zentraler Daten(austausch)speicher dient. Dabei wird im ersten Schritt das Bauwerk dreidimensional abgebildet, in dem einzelne „intelligente“ Objekte entstehen. Vereinfacht gesagt, die Mauer weiß, dass sie eine Mauer ist und „verzahnt“ sich automatisch mit anderen Objekten zum Beispiel einer angrenzenden Mauer. Weitere Dimensionen sind 4D (Zeitplanung), 5D (Kosten), 6D (Nachhaltigkeit) und 7D (Betrieb), deren Daten ebenfalls in den „digitalen Zwilling“ eingepflegt werden. Dabei steht bei der öffentlichen Infrastruktur der Betrieb deutlich stärker im Fokus als zum Beispiel im Hochbau, da hier bis zu 80 % der Kosten im Lebenszyklus eines Bauwerkes entstehen.
Im Hochbau wird diese Methodik schon verstärkt angewendet. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für die Wasserwirtschaft ableiten?
Grundsätzlich können die im Hochbau gewonnenen Erkenntnisse und Fähigkeiten als Basis für den Einsatz der BIM-Methodik in der Wasserwirtschaft dienen. Allerdings sind zum Beispiel Kläranlagen deutlich komplexer als viele Hochbaumaßnahmen. Es geht um die zusammenfassende Darstellung vieler Bauwerke aus dem Hoch- und Tiefbau, um hochentwickelte Elektro-, Mess-, Steuer- und Regeltechnik, um Maschinen und Verfahrenstechnik. Und die Infrastruktur zur Erschließung der Anlagen wie Straßen, Leitungen, etc. bilden die gesamte Infrastruktur einer Stadt ab und müssen miterfasst werden. Daher muss bei der Übertragung von BIM-Erfahrungen und Bausteinen aus dem Hochbau wie z.B. den Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) ein großer Anpassungsaufwand für die Projekte der Wasserwirtschaft durch entsprechende Fachleute betrieben werden.
Speziell im Anlagenbetrieb bietet BIM große Potenziale. Welche technischen und wirtschaftlichen Vorteile sehen Sie in dieser Hinsicht?
Bevor man hier über Vorteile redet, muss man über Voraussetzungen sprechen. Und die wichtigste Voraussetzung ist die komplette Bestandserfassung einer errichteten Anlage („As-Built“). Wasserwirtschaftliche Anlagen verändern sich in ihrem Lebenszyklus ständig, daher muss das BIM-Modell auch ständig fortgeschrieben werden („As-Is“). Schon alleine diese gezielte Vorgehensweise würde die heute immer wieder bestehende Problematik der falschen oder ungenauen Bestandsdokumentation endlich lösen. Zudem sind Informationen über die einzelnen Anlagenteile dann direkt vor Ort zum Beispiel über virtuelle Brillen („Virtual Reality“ oder „Augmented Reality“) verfügbar. Betriebszustände oder Betriebsumstellungen können am digitalen Modell getestet werden, so dass das Risiko von Anlagenversagen minimiert wird. Zudem können betriebsrelevante Daten aus den Einzugsgebieten in die Simulationen aber auch in Echtzeit in die Anlagensteuerung/-regelung einfließen. Insgesamt sinkt der Betriebsaufwand und die Betriebssicherheit steigt.
Welche Herausforderungen ergeben sich denn bei der Umsetzung von BIM-Projekten? Und wie könnte die Politik die Interessen der Wasserwirtschaft künftig stärker berücksichtigen?
Einerseits wird viel über die BIM-Methodik veröffentlicht und diskutiert, andererseits ist aber der Weg zum digitalen Zwilling der komplexen wasserwirtschaftlichen Anlagen noch weit. Bei den Menschen bestehen Sorgen und Ängste vor den extrem rasanten und umfassenden Veränderungen durch die sogenannte 4 Stufe der industriellen Revolution. Diese Ängste und Sorgen müssen durch eine gute Informationspolitik abgebaut werden, die Chancen in den Vordergrund gestellt werden ohne die Risiken zu verschweigen. Die Politik muss insgesamt die Digitalisierung deutlich weiterentwickeln. Hierzu gehören z.B. die schnelle Umsetzung der notwendigen Voraussetzungen in der Infrastruktur, die Ausrüstung der öffentlichen Verwaltung mit hochmoderner Hard- und Software aber auch noch mehr Anstrengungen zum Schutz unserer digitalen Infrastruktur.
Welche Schritte müssen als nächstes erfolgen, um die Digitalisierung in der Wasserwirtschaft weiter voranzubringen?
Insbesondere die Betreiber kleiner und mittlerer Anlagen der Wasserwirtschaft müssen sowohl finanziell als auch inhaltlich bei der Implementierung der BIM-Methodik unterstützt werden. In der Fachwelt aber auch in der breiten Öffentlichkeit muss Akzeptanz für die Digitalisierung geschaffen werden. Staatlicherseits muss die Entwicklung von Open Source Software aber insbesondere auch die von offenen Schnittstellen massiv unterstützt werden, über die Daten verlustfrei und ohne Nachbearbeitungsaufwand Software unabhängig übertragen und weiterverarbeitet werden können.
Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Schröder. Wir freuen uns schon auf Ihren Vortrag.